Die Oberrheinstellung

 

Oberrheinstellung

Die erste Phase zum Ausbau der "Oberrheinstellung" als neuer Bestandteil der "Westbefestigungen" entstand 1936-38 im Rahmen der Wiederaufrüstung nach der Rheinlandbesetzung. Trotz der großen finanziellen Mittel, die von der Diktatur in die Absicherung der politischen und militärischen Entwicklung gesteckt wurden, konnte das etwa 200 km lange rechte Rheinufer von Karlsruhe bis Basel nicht in kurzer Zeit militärisch lückenlos und dauerhaft gesichert werden. Deshalb mussten sich die in Karlsruhe und Freiburg stationierten "Festungspionierstäbe" der Wehrmacht auf die Einrichtung von rundum verteidigbaren Brückenköpfen an Rheinbrücken und möglichen Fährstellen beschränken. Dieses im deutschen Befestigungswesen der Zwischenkriegszeit ohnegleichen gebliebene Konzept sah relativ dickwandige, nach Westen gerichtete Bunker an den östlichen Brückenköpfen vor, die von in einem Halbkreis angeordneten dünnwandigen Bunkern im Rücken gedeckt wurden.
Bedingt durch die räumlich beschränkte Lage am Rheinufer, an Verkehrsadern und teilweise neben Ortschaften sind heute nur noch relativ wenig dieser Bauwerke überliefert. Die meisten Bunkeranlagen wurden zumindest obertägig geschleift. Den verhältnismäßig wenigen überlieferten Ruinen kommt dadurch eine wichtige Bedeutung für das Verständnis der Baugeschichte des späteren "Westwalls" zu.

Die zweite Phase zum Ausbau der "Oberrheinstellung" im Sommer von 1938 stand in direktem Zusammenhang mit der von den Nationalsozialisten provozierten Sudetenkrise, als Einstieg in die ideologisch motivierte Eroberung von "Lebensraum" durch die Besetzung oder Eroberung von Teilen der Tschechoslowakei, die 1939 in die Einverleibung der böhmischen und mährischen Landesteile mündete. Der tschechoslowakische Bündnispartner Frankreich sollte durch den schnelleren, umfangreicheren aber auch technisch einfacheren Ausbau der "Westbefestigungen" von einem Eingreifen im Westen abgehalten werden. In Bezugnahme auf die antiken Befestigungslinien des Römischen Reiches wurde die Bezeichnung "Limesbauprogramm" gewählt. So entstand eine durchgehende, sehr raumgreifende Befestigungszone zwischen Germersheim und Basel. Diese bestand aus über dreitausend Bunkern am Rheinufer und an den Hochwasserschutzdämmen in den Auenwäldern dahinter, zum größten Teil für Maschinengewehre hinter wenig widerstandsfähigen Scharten, aber auch für leichte Panzerkanonen gegen gepanzerte Boote, die sich Fluss- und Hafenmündungen zunutze machen konnten. Die Sichtbarkeit der vielen Bunker am Rheinufer unterstrich sichtbar die Verteidigungsbereitschaft des Deutschen Reiches.
Die enorme Menge an sichtbaren Bunkern, nicht nur am Oberrhein, spielte somit eine bedeutsame propagandistische Rolle im so genannten "Sitzkrieg" und trug zur relativen militärischen Passivität der Westalliierten nach dem Überfall auf Polen 1939 bei. Eine Bewährungsprobe musste die "Oberrheinstellung" nie ernsthaft bestehen. Die kriegsentscheidenden Rheinübergänge im März 1945 fanden hauptsächlich nördlich von Germersheim statt.
Zurück blieb nach der planmäßigen Sprengung der zahlreichen Bunker die umfangreichste militärische Ruinenlandschaft Baden-Württembergs, die nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl durch Verkehrsicherungsmaßnahmen als auch durch "Verschönerungsmaßnahmen" im Sinne der Beseitigung unerwünschter Kriegsruinen dezimiert wurde. Dennoch sind heute noch etwa Tausend Standorte erkennbar, die im Verbund wichtige Elemente des Erinnerungsraums "Westwall" und gleichzeitig auch wertvolle Trittsteinbiotope für Fauna und Flora darstellen.


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