Muss man denn alle Bunker erhalten?

Ein "Verein zur Erhaltung der Westwall-Anlagen" sagt natürlich: JA!

Welche Argumente gibt es denn für den Erhalt?

1) Der regional jetzt schon fragmentarische Überlieferungszustand
Die Westbefestigungen bestanden aus vielen Einzelbauwerken, wovon schon sehr viele verschwunden sind. Wir haben jetzt schon nur noch einen Bruchteil übrig.

2) Der historische Kontext mit dem Bezug zum "Lebensraum" mit dem überregionalem Ausmaß und Menge belegen
Erst die Zusammensetzung aus vielen verschiedenen Standardbauwerken aus unterschiedlichen Bauphasen, die über viele hunderte Kilometer hinweg gebaut wurden, erzählt die Geschichte von einem Befestigungssystem, das konzeptionell mehrfach umgebrochen wurde, und das spätestens ab dem "Limesbauprogramm" in unmittelbarem Zusammenhang mit der Politik der "Eroberung von Lebensraum" in Osteuropa stand. Die kurze Periode zwischen Mai und Oktober 1938, zwischen eskalierender Sudentenkrise und geplantem Überfall auf die Tschechoslowakei, zwang zum massenhaften Bau von noch weiter durchstandardisierten Regelbauten (Bautypen), und es gilt genau davon soviele wie möglich zu erhalten, um diese Geschichte im Feld, zwischen Heinsberg und Lörrach, sichtbar bleiben zu lassen.
Das kann man nicht mit der Erhaltung von exemplarischen Standorten erreichen, sondern nur durch die Erhaltung ganzer Ensembles, soweit heute noch vorhanden.
Siehe hierzu auch: Warum ist der Erhalt von einzelnen Bunkerruinen so wichtig

3) Die Authentizität: Der Zweite Weltkrieg war auch vor deiner Haustür
Die heute noch vorhandenen Ruinen sind oft nur die letzten tastbaren authentischen Relikte je Gemeinde, die daran erinnern, dass der Zweite Weltkrieg auch hier stattfand. Es sind gerade die Bunkerruinen, die junge Menschen mit diesem Kapitel der Geschichte in Berührung bringen. Wenn wir uns als Gesellschaft mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg befassen sollen, dann müssen wir uns auch mit den Bunkerruinen vernünftig auseinander setzen. Damit gewinnen wir ein gutes Stück Geschichtsbewusstsein, das regelmäßig und tastbar vor Ort erlebbar ist. Die Orte aus den Geschichtsbüchern wie die Invasionsstrände, das Reichsparteitagsgelände und Auschwitz sind weit weg und besucht man vielleicht nur einmal im Leben.

4) Bewältigen anstatt Verdrängen: Schweigen ist immer die schlechteste Lösung
Wenn eine Gesellschaft nicht über ein Thema diskutiert, wird das ein Tabuthema. Das ist im Grunde genommen das, was fünf Jahrzehnte lang am Westwall passiert ist. Das Schweigen der bundesdeutschen Gesellschaft hat lange Jahre dazu geführt, dass diese Relikte überwiegend als Verkehrssicherungsproblem wahrgenommen wurden und auch deshalb vom Bund ungehindert beseitigt  wurden, weil sich zu wenig (starke) Gegenstimmen erhoben, bzw. diese selbst in die Tabu-Ecke gedrängt wurden, was das Schweigen wiederum verstärkte. Im Ausland wurde das als Verdrängung wahrgenommen. Damit überlässt man es dem Zufall (z.B. privat geführte Museen) oder gar dem rechten Spektrum (was zum Glück nur wenig geschah) dieses Thema nur unter ihrer Perspektive zu belegen (ob gut oder schlecht aber sicherlich nicht optimal). Das sollte anders laufen: Eine erwachsene, demokratische Gesellschaft sollte über ihre Tabus reden und streiten, und diese mit ihrem rechtstaatlichem Verständnis besetzen, interprätieren und nach außen hin offen präsentieren. Das gilt erst recht für die Relikte des Westwalls.

5) Auch die Ruinen nutzen dem Artenvielfalt
Nicht nur die erhaltenen Bauwerke, sondern erst recht die heute noch vorhandenen Ruinen leisten ihren Beitrag im Artenvielfalt, inmitten von sehr stark wirtschaftlich genutzten Flächen.

Ein schönes Beispiel für (2) ist die Hardtwaldbatterie bei Karlsruhe, wo die letzten beiden Geschützkasematten nach dem Regelbau 30 stehen (von ursprünglich drei). Zusammen mit fünf weiteren Batterien für schwere Marinegeschütze wurde beabsichtigt hiermit französische Städte zerstören zu können (auch wenn die Hardtwaldbatterie darin wohl eine Ausnahme war). Nur in der Batterie im Hardtwald ist der Großteil der Bauwerke in anschaulichem Zustand überliefert. Es macht keinen Sinn nur eine Geschützkasematte exemplarisch zu erhalten und die anderen zu zerstören, weil dann der Zusammenhang verloren geht:
- Als Besucher muss man eben erfahren können, dass hier die gleichen "Typen" an Geschützkasematten und Unterständen mehrfach vorkommen um das Konzept hinter Standardbauwerken zu verstehen.
- Als Besucher darf man schon erfahren welchen Aufwand getrieben wurde, jedoch muss man auch erfahren können, dass es um veraltete Marinegeschütze ging, die im Verbund mit den anderen Marinebatterien ihm Rahmen  eines merkwürdig anmutenden Konzeptes "gemeinsam" eine "Breitseite" wie auf einem Schlafschiff abzugeben hätten. (vergl. Kuhnert & Wein, 2012)

- Nur so kann man erkennen, dass an beiden Geschützkasematten die gleichen Spuren von Umbaumaßnahmen aus 1944/45 sichtbar sind, auch dahinter steckte ein Konzept.
- Nur so kann man erkennen, dass durch Sprengungen beide Geschützkasematten auf ähnlicher Weise "unbrauchbar" gemacht wurden, auch dahinter verbarg sich ein Konzept.
Der gesamte Fragenkomplex für oder wider Erhalt am gesamten Westwall, ist im Kleinen im Hardtwald sichtbar. Zum Glück ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass im Hardtwald Bauwerke abgebrochen oder übererdet werden, aber anderswo aus Verkehrssicherungsgründen schon. Und wenn man es anderswo aus diesem Grund zulässt, wäre das genauso ein Präzedenzfall für den Hardtwald.

 


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