Die Vorstellung Aachen

Die "Vorstellung Aachen" wird oft gleichgesetzt mit dem im Oktober 1938 pompös angekündigten "Aachen-Saar-Programm", womit die Städte Aachen und Saarbrücken hinter Bunkerlinien gebracht werden sollen, aber der Sachverhalt ist doch etwas komplexer.

 Westwall Vorstellung Aachen

Die "Vorstellung Aachen" bei Abbruch der Bauarbeiten 1940. Die "Grenzwachtstellung" von 1938 wird nur
dort dargestellt, wo ihre Trasse 
nicht integriert wurde.

 

Die Baugeschichte 1938-1940

Mit den im Frühjahr 1938 begonnenen "Befestigungen am Niederrhein und Eifel" wurde nach den "Befestigungen zwischen Mosel und Rhein" und den "Befestigungen am Oberrhein" eine dritte befestigte Zone angedacht, womit die "Westbefestigungen" bis in Höhe der belgischen Nordgrenze (aber vor niederländischem Gebiet) verlängert wurden. Das Ziel schien zu sein, eine Umgehung der "Befestigungen zwischen Mosel und Rhein" unter Verletzung der belgischen, luxemburgischen und ggf. auch der niederländischen Neutralität zu erschweren.

Die "Hauptkampflinie" soll dabei östlich von Aachen entlang geführt werden, weil hier das Höhengelände günstigere Möglichkeiten bot, als das flache und teilweise bewaldete Gelände zwischen der Stadt und der Grenze. Auch weiter südlich in der Eifel bis zur Schnee-Eifel wurde die "Hauptkampflinie" bevorzugt durch von der Grenze abgesetzten Täler geführt.

Grenznah entstand 1938 eine dünne Bunkerlinie nach dem "Sperrkonzept", die auch als "Grenzwachtstellung" bezeichnet wird, mit dünnwandigen Bunkern nach den Regelbauten D-2, C-5a und einer lokalen einfachen Bauform als PAK-Garage.

Über die Sommermonate von 1938, beherrscht von Hitlers aggressiven Politik und Kriegsdrohungen, wurde unter dem Namen "Limesbauprogramm" auch die "Hauptkampflinie" östlich von Aachen mit einer dichten "Bunkerwolke" ausgebaut, aber in der "Vorstellung Aachen" blieb alles beim ursprünglichen Konzept. 

Der im September 1938 publik gemachte Befestigungsbau verschaffte Hitler zwar nur eine eher virtuelle Sicherung im Rücken für ein militärisches Vorgehen gegen die Tschechoslowakei, aber mit dem Münchener Abkommen kam das Sudetenland zum Deutschen Reich, was zum Ende der Sudetenkrise führte. Der Bau von Befestigungsanlagen als militärstrategisches Instrument aber auch als propagandistisches Druckmittel schien sich auszuzahlen.

Somit verwundert es nicht, dass im Oktober mit dem "Aachen-Saar-Programm" nochmalig eine Erweiterung geplant wurde, die als "Schutz" für Aachen und Saarbrücken verkauft wurde, die jedoch für diese Städte die Zerstörung bedeuten musste, sollte es jemals zu Kampfhandlungen kommen. Die Vorteile lagen irgendwo anders:
- Grenznahe Befestigungen sind mehr sichtbar und schrecken so überzeugender ab.
- Grenznahe Befestigungen bieten geschützte Aufmarschräume für eine Offensive in den Westen.
Eine ähnliche Evolution hin zu grenznahen Befestigungsanlagen vollzog sich 1939 auch an den Grenzen zu Polen in Ostpreußen, Pommern und Schlesien.

In den Herbstmonaten von 1938 war man noch sehr mit den Bunkerlinien aus dem "Limesbauprogramm" beschäftigt, aber in der Saarstellung (und östlich von Saarbrücken im Abschnitt Brebach-Blieskastel) entstanden erste Limesregelbauten und vor Saarbrücken auch ein erstes Stück Höckerlinie Typ 1938. In der "Vorstellung Aachen" schaffte man noch keine Bunker, aber neben Straßen an oder zur Grenze entstanden gut sichtbar viele kleine, meist unzusammenhängende Stücke Höckerlinie.

Westwall Vorstellung Aachen 1938

Der Ausbauzustand der "Vorstellung Aachen" als "Grenzwachtstellung"
im Konzept einer "
Sperrlinie" zum Jahresende 1938.

 

In den ersten Monaten von 1939 entstanden überall am Westwall in 2m Wand- und Deckenstärke ausgeführte Limesregelbauten, nur praktisch keine nördlich der Schnee-Eifel. Dann wurden ab Februar 1939 die Regelbauten der 100-Serie eingeführt, die prompt sowohl in der Saarstellung als auch in der  "Vorstellung Aachen" zahlreich gebaut wurden. Vielerorts vor Aachen und in der Nordeifel wählte man eine neue Trasse für die breitere Höckerlinie Typ 1939, und liess so viele Stücke Höckerlinie Typ 1938 aus dem Herbst ungenutzt in der Landschaft zurück. Da, wo sie integriert wurden, entstanden sehr interessante Konstruktionen zur Verstärkung.

Erwähnung sollten hier auch die Panzerhindernissysteme westlich von Aachen finden, wo mit langen Betonwänden einmalige Bauwerke entstanden, die teilweise noch heute existieren. 

Die dünnwandigen Bunker der alten Sperrlinie wurden entweder integriert, oder dienten als vorgelagerte Posten. Wie im Saartal entstanden so Bunker nach der "Baustärke" A (3,5 Wand- und Deckenstärke) und B (2,0m) in direkter Nachbarschaft zu den dünnwandigen Bunkern der Sperrlinie in den Baustärken C (60 cm Wand- und 50 cm Deckenstärke) und D (30 cm). Was aussah, wie eine rasche Evolution, war in Wirklichkeit das Produkt einer unplanvollen Abfolge von verworfenen Konzepten.

Beim Kriegsausbruch im September 1939 wurde an der  "Vorstellung Aachen" noch immer gebaut und hier konnte man das weiterhin unbehelligt von einer möglichen drohenden militärischen Eskalation tun. Dennoch blieb diese befestigte Zone doch meistens eine einzelne Bunkerlinie mit wenig Tiefe, ganz anders als die "Bunkerwolke" der älteren Linie dahinter. Es fehlten offensichtlich noch viele Bunker für Maschinengewehr, weshalb mit den "Betonverstärkungen für MG", kleine nach hinten offene Bunker in 60 cm Wandstärke (man traute sich aber nicht, das wieder Baustärke C zu nennen) in der Nordeifel viele tote Winkel und Schussfelder etwas improvisiert ergänzt wurden. Einzelne, scheinbar nachrangige aber typologisch fantasievolle Bunkerbauprojekte führte man noch bis im Frühjahr 1940 durch.

Die Kriegsgeschichte 1940-1945

Im Mai 1940 diente die "Vorstellung Aachen" zweifellos ihren Zweck als Schutz für die Truppen, die in die Niederlande und nach Belgien vorrückten.

Ihre Bewährungsprobe kam jedoch im September 1944, als US-Truppen vor der Reichsgrenze erschienen. Mit den ersten Kämpfen am Pelzerturm im Aachen Stadtwald am 12.9. gingen auch die ersten Bunker der "Vorstellung Aachen" verloren. Jedoch blieb der erwartete Handstreich auf Aachen aus. Stattdessen gelang ein erster Versuch, die kleine Bunkergruppe hinter der Höckerlinie bei Roetgen zu überwinden nicht.
Für den 13.9. beschlossen die Amerikaner die "Vorstellung Aachen" südlich der Stadt an drei Stellen anzugreifen: Bei Roetgen, Schmithof und Oberforstbach. Der Durchbruch bei Roetgen geht als der erste durch eine Westwalllinie in die Geschichte ein. Die beiden anderen Angriffe waren ebenfalls erfolgreich.

Westwall_Vorstellung_Aachen_1944_Aachen.jpg

Der Einbruch der US-Armee am 12. September im Aachener Stadtwald (orange)
und die Durchbrüche vom 13. September (rot).

 

Die Ursachen für den schnellen Fall der "Vorstellung Aachen" waren vielfältig. Die Höckerlinie und die Bunker wurden letztendlich zu schwach verteidigt, weil die deutsche Seite noch zu wenig Kräfte vor Ort hatte. Außerdem rächte sich, dass das Gelände nah an der Grenze wenig natürliche Hindernisse und wenig beherrschende Höhen bietet. Die kilometerlangen Höckerhindernisse sahen zwar beeindruckend aus, aber man konnte sie nicht mit Panzerabwehrwaffen und Artillerie verteidigen. Zudem waren die Panzer, gepanzerten Fahrzeuge und ihre Bewaffnung von 1944 um einiges weiter entwickelt, während die Bunker und ihre Panzerteile damit nicht Schritt gehalten hatten. Letztendlich war die Übermacht der US-Armee zu groß und sie nutzte das Momentum.

Der Abschnitt im westlichen Halbkreis um Aachen blieb noch bis in den Oktober in deutscher Hand. Nicht weil dieser so stark war, sondern weil die US-Truppen die Stadt Aachen zuerst von Süden und dann von Norden umschlossen und dabei diese Befestigungen außen vorliessen. Sie wurden praktisch kampflos geräumt und Aachen kapitulierte am 21.10.44 als erste deutsche Stadt vor den Allierten.

Weiter nach Süden waren die Bunker bei Lammersdorf, auf der Höhe "Am Gericht" und bei Simmerath Schauplatz langanhaltender Kämpfe. Auch bei Höfen und Alzen wurden die Westwallbunker im Kampf erobert, aber weiter nach Südosten markierte die "Vorstellung Aachen" bis zur Ardennenoffensive die Grenze zum Niemandsland.

Wiederum konnte die "Vorstellung Aachen" hier einem Aufmarschraum Schutz bieten und von hier aus starteten am 16.12.44 die Angriffe nach Rocherath und Losheimergraben.
Nach dem Misslingen der Ardennenoffensive zogen sich die Reste der deutschen Verbände bis hinter diesem südlichen Teil der "Vorstellung Aachen" zurück. Unter dem Druck der US-Angriffe in der Nord- und in der Südeifel wurde im Februar 1945 das letzte Stück "Vorstellung Aachen" aufgegeben und wichen die verbliebenen deutschen Soldaten auf den Rhein zurück.

Die Zerstörungsgeschichte 1945-heute

Manche Bunker, die noch im September erobert wurden, waren schon einer Sprengung unterzogen worden, aber die meisten wurden erst 1946/47 systematisch gesprengt und entschrottet. Die großen, dickwandigen aber oft etwas verstreuter liegende Bunker bildeten eine etwas anders aussehende Trümmerlandschaft als anderswo. Zunächst wurden nur relativ wenige Bunker, die direkt an Straßen und in Neubaugebieten lagen, tatsächlich abgebrochen. In den Gegenden mit touristischem Publikumsverkehr, wie im Aachener Stadtwald und in der Nordeifel, wurden die meisten Ruinen ab den 1960-er Jahren übererdet. In landwirtschaftlichen Arealen blieben viele Ruinen noch bis in die 1970-/1980-er Jahren liegen und wurden erst dann teilabgebrochen und übererdet. Noch in den 1990-ger Jahren fanden Bunkerbeseitigungen in der Nordeifel statt, u.A. just im historischen Schauplatz Roetgen (1998), bei Hellenthal und Udenbreth.

Prägend für das Aussehen des Westwalls in NRW wurden die kilometerlangen Trassen der Höckerlinie, die wegen der inzwischen fehlenden Bunker mit dem "Westwall" gleichgesetzt wurden. Die Nachkriegsgeschichte des Westwalls kommt aber nicht um Manfred Gross herum, der mit seinem ersten Buch "Der Westwall zwischen Niederrhein und Schnee-Eifel" einen wissenschaftlichen Standard setzte.

Während sich, auch daraufhin, in anderen Bundesländern Aspekte und Schutzinstrumente aus dem Denkmalschutz, und auch aus dem Artenschutz, immer erfolgreicher gegen die Verkehrssicherungpraktiken durch Zerstörung durchsetzten, blieb eine flächendeckende Unterschutzstellung in NRW aus. Das führte im Januar 2005 zu einem Klimax, als ein Bunker der "Vorstellung Aachen" bei Aachen zerkleinert wurde und öffentlich gemachte Videoaufnahmen davon die Sinnlosigkeit dieser Zerstörung von Biotopen und Denkmalsubstanz so offensichtlich machten, dass die Bunkerbeseitigungen aus Verkehrssicherungsgründen zuerst in einem Moratorium, dann aber auch endgültig in NRW beendet wurden.

Jedoch das Fehlen einer systematischen Unterschutzstellung und in der Folge deren Schwäche gegenüber private, wirtschaftliche Interessen, führt immer wieder zu Substanzverlusten. Hier mal ein Stück Höckerlinie (Konzen 1996, Aachen 2014, Udenbreth 2021), da mal ein Bunker (zuletzt noch in Imgenbroich 2020). In den anderen Bundesländern kommt das Abbruchmotiv des privaten wirtschaftlichen Interessens an bekannten sichtbaren oder historisch wichtigen Standorten praktisch nicht vor.

Dennoch sind gerade im Aachener Raum und in der Nordeifel weiterhin zahlreiche Ruinen seit einem halben Jahrhundert im übererdeten Zustand konserviert. Es ist zu erwarten, dass hier, wie anderswo auch, durch Einspülung und Erosion immer mehr Teile sichtbar werden. Diese Bunkerruinen sind als eine Chance für Artenschutz, Tourismus und Politische Bildung zu verstehen. 


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